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hekabe 1,2
HEKABE 1,2 1. Römisch Hecuba, oder, älter, Hecoba; Tochter des Dymas 1, des phrygischen Königs am Sangarios, und der Euagore 3; u. a. Homer Ilias 16,715ff: „Während er dies überlegte, trat zu ihm Phoibos Apollon in der Gestalt des jugendlich rüstigen, kraftvollen Helden Asios, eines Oheims des rossetummelnden Hektor, eines leiblichen Bruders der Hekabe, Sohnes des Dymas, der an dem Strom Sangarios wohnte im phrygischen Lande.“ [Homer: Ilias. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 5157 (vgl. Homer-W Bd. 1, S. 316) (c) Aufbau-Verlag] Euripides nennt Kisseus 3 als Vater; Hekabe 1ff: „POLYDOROS als Schatten heranschwebend. Gekommen bin ich von der Gruft der Toten und dem Tor der Nacht, wo Hades wohnt, den Göttern fern, ich, Polydoros, Sohn der Hekabe, der Tochter des Kisseus, und des Priamos, der mich, als durch den Griechenspeer die Phrygerstadt zu fallen drohte, vor Angst aus Troja heimlich schickte in das Haus des Polymestor, der sein Gastfreund war in Thrakien, …..“ [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3011 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 149) (c) Aufbau-Verlag] Als Gemahlin des Kisseus 3 und Mutter der Hekabe nennt Athenion Telekleia, die Tochter des Ilos 1. Apollodor 3,148 nennt den Flussgott Sangarios und Metope 4 (Schol. Euripides), aber auch Eioneus 4 und Glaukippe 2 werden als Eltern der Hekabe genannt. ….. Sie war die zweite Frau des Priamos 1, des Königs von Troia, dem sie 19 Kinder schenkte; Ilias 24,493ff: „Ich indessen bin gänzlich geschlagen: Ich zeugte im weiten Troja die tapfersten Helden, doch keiner von ihnen blieb übrig. Fünfzig Söhne besaß ich, als die Achaier zu Felde zogen; neunzehn von ihnen entstammten dem Schoße der Gattin, während mir Nebenfrauen im Hause die andern gebaren.“ [Homer: Ilias. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 5426 (vgl. Homer-W Bd. 1, S. 467) (c) Aufbau-Verlag] Bei Simonides hat Hekabe 20 Kinder: „Sei du nun, Mutter von zwanzig Kindern. gnädig ……“ (Werner Oskar: Simonides Bakchylides, Gedichte. Griechisch und deutsch herausgegeben und übersetzt von Oskar Werner. Heimeran Verlag München. 1 Auflage, Seite 39, 1957. Die 31 Kinder die Priamos von anderen Frauen hatte (In der Literatur werden 41 Namen genannt.) wurden von Hekabe aufgezogen. ….. Erstmals in der Weltliteratur erscheint sie in Homers Ilias 6,87, noch ohne Namen und nur als Mutter von Hektor und Helenos 1 genannt, als ihr Sohnes Helenos, ein Seher, ihr durch Hektor den Auftrag überbringen ließ die Göttin Athene um Beistand in der Verteidigung der Stadt Troia anzuflehen; Ilias 6,74ff: „Damit stärkte er jedem den Mut und den Willen zum Kampfe. Vor den aresgeliebten Achaiern wären die Troer bis nach Ilion fast geflohen im Banne der Feigheit; aber es trat zu Aineias und Hektor der Priamide Helenos, der vonreiflichste Vogelbeschauer, und sagte: »Ihr, Aineias und Hektor, tragt die Hauptlast des Krieges bei den Troern und Lykiern, weil ihr die Tüchtigsten seid in jeglichem Vorhaben, sei es im Kampfe oder im Rate: Hier bleibt stehen und bringt vor den Toren die Männer zum Halten, überallhin euch wendend, bevor auf der Flucht in die Arme ihrer Frauen sie stürzen, ein Grund zum Gelächter den Feinden! Habt ihr sodann die Schlachtreihen alle aufs neue gefestigt, werden wir standhalten wieder und gegen die Danaer kämpfen, sind wir auch heftig bedrängt; uns zwingt die mißliche Lage. Du geh, Hektor, inzwischen zur Stadt, gib unserer Mutter folgenden Auftrag: Sie möge die Ältestenfrauen versammeln auf der Burg, in dem Tempel der helläugig blickenden Göttin, möge dann aufschließen lassen die Türen des heiligen Hauses und das Gewand, das sie im Palast für das schönste und größte ansieht und das ihr selber die innigste Freude bereitet, über die Knie breiten der lieblich gelockten Athene; weiter soll sie geloben, im Tempel zwölf glänzende Rinder, ungezähmte, zu opfern: vielleicht erbarmt sich die Göttin unserer Stadt und der troischen Frauen und arglosen Kinder, wehrt den Sohn des Tydeus ab vom heiligen Troja, ihn, den grimmigen Speerkämpfer, der den Feind vor sich herscheucht, ihn, der sich jetzt im Kampf als der Stärkste der Griechen erwiesen! Derart fürchteten wir nicht einmal den Fürsten Achilleus, der doch von göttlicher Mutter abstammen soll! Diomedes wütet zu sehr, und keiner kann sich an Kraft mit ihm messen!« Derart sprach er, und Hektor gehorchte willig dem Bruder.“ [Homer: Ilias. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 4792 (vgl. Homer-W Bd. 1, S. 107 ff.) (c) Aufbau-Verlag] ….. Ebenso namenlos bei Ilias 6,251; erst bei 6,293 erwähnt Homer erstmals ihren Namen, Hekabe; Ilias 6,251ff: „In dem Hof kam ihm die gütige Mutter entgegen, führte gerade die hübscheste Tochter hinein, Laodike. Herzlich schüttelte sie ihm die Hand und begann mit der Frage: »Lieber Junge, was kommst du her aus dem tobenden Kampfe? Wahrlich, es setzen uns zu die verruchten Achaier im Streite rings um die Stadt! So trieb dich der Wunsch, dich herzubegeben und von der Burg aus zu Zeus empor die Hände zu strecken. Warte ein Weilchen, bis ich dir süßen Wein überreiche! Spenden sollst du zuerst dem Zeus und den übrigen Göttern, dann wirst selber du dich erquicken, sofern du ihn trinkest. Einem Ermatteten stärkt der Wein gewaltig die Kräfte, so wie dich Ermattung befiel im Kampf für die Deinen.« Ihr entgegnete Hektor, der Held mit dem nickenden Helmbusch: »Lieblichen Wein darfst du mir nicht geben, ehrwürdige Mutter. Schwächen sollst du mich nicht, ich darf nicht die Kräfte verlieren! Zeus mit ungewaschenen Händen funkelnden Wein zu spenden, verwehrt mir die Ehrfurcht. Man darf nicht zum düsterumwölkten Sprößling des Kronos beten, besudelt mit blutigem Staube. Du versammle die Ältestenfrauen, mit Räucherwerk gehe hin zum Tempel Athenes, der beutespendenden Göttin, und das Gewand, das du im Palast für das schönste und größte ansiehst und das dir selber die innigste Freude bereitet, lege über die Knie der lieblich gelockten Athene; weiter sollst du geloben, im Tempel zwölf glänzende Rinder, ungezähmte, zu opfern: vielleicht erbarmt sich die Göttin unserer Stadt und der troischen Frauen und arglosen Kinder, wehrt den Sohn des Tydeus ab vom heiligen Troja, ihn, den grimmigen Speerkämpfer, der den Feind vor sich hertreibt. Geh denn zum Tempel der beutespendenden Göttin Athene! Aber ich selbst will Paris aufsuchen, um ihn zu rufen, hört er auf mich. Daß ihn doch sogleich die Erde verschlänge! Ihn erschuf der Herr des Olympos zum Unheil den Troern, Priamos auch, dem edlen, und den Söhnen des Königs! Sähe ich ihn hinuntersteigen zum Reiche des Hades, würde ich, ohne Schmerz zu empfinden, ihn völlig vergessen!« Derart sprach er; sie ging in das Schloß, gab Weisung den Mägden; diese versammelten, durch die Stadt hin, die Ältestenfrauen. Sie stieg aber hinab in die duftende Kammer, in der die bunten Gewänder lagerten, Arbeit sidonischer Frauen, die der göttliche Paris selbst mitbrachte aus Sidon, auf der Fahrt weit über das Meer, auf der er ins Haus sich Helena führte, die Tochter eines vortrefflichen Vaters. Eines entnahm hier Hekabe als Geschenk für Athene, weitaus das schönste an Buntstickerei und das größte; es strahlte wie ein Gestirn und lag von allen zuunterst. Und eilig schritt sie voran, ihr folgten zahlreich die Ältestenfrauen. Als auf der Burg sie den Tempel der Göttin Athene erreichten, öffnete ihnen Theano, die Frau mit den lieblichen Wangen, Tochter des Kisseus, Gemahlin des Rossebezwingers Antenor; ihr vertrauten die Troer die Priesterwürde Athenes. Alle erhoben klagend die Hände zur Göttin Athene; und die Frau mit den lieblichen Wangen ergriff das Gewand und legte es über die Knie der reizvoll gelockten Athene, sprach zur Tochter des großen Zeus die flehenden Worte: »Herrin Athene, Schutz der Stadt, erhabene Göttin, brich die Lanze des Tydeussohnes und lasse ihn selber stürzen aufs Antlitz vor dem Skaiischen Tor; wir geloben dir, im Tempel sogleich zwölf glänzende Rinder zu opfern, ungezähmte; vielleicht wirst du Erbarmen gewähren unserer Stadt und den troischen Frauen und arglosen Kindern.« So erklang ihr Gebet, doch Athene versagte Erfüllung.“ [Homer: Ilias. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 4801 (vgl. Homer-W Bd. 1, S. 112 ff.) (c) Aufbau-Verlag] ….. Bei der Aussprache zwischen Hektor und seiner Frau Andromache erwähnt Hektor seine Mutter; Ilias 6,448ff: „Einst wird kommen der Tag, wo das heilige Troja dahinsinkt, Priamos auch und das Volk des lanzenkundigen Königs. Freilich bedrückt mich nicht das künftige Elend der Troer, das der Hekabe oder des Priamos, unseres Herrschers, auch nicht der Brüder, die dann wohl, so zahlreich und tapfer, zu Boden stürzen, tot, in den Staub, bezwungen von feindlichen Fäusten, …..“ [Homer: Ilias. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 4810 (vgl. Homer-W Bd. 1, S. 118) (c) Aufbau-Verlag] ….. Im 22. Gesang der Ilias fleht Hekabe ihren Sohn an nicht dem Menschenschlächter Achilleus entgegenzutreten sondern innerhalb der Mauern von Troia Schutz zu suchen; Ilias 22,77ff: „Derart flehte der Greis und raufte sein Grauhaar vom Haupte. Doch er vermochte den mutigen Hektor nicht zu bewegen. Ihrerseits klagte in Tränen die Mutter, riß über dem Busen sich das Gewand entzwei und hob die Brust mit der Linken. Weinend sprach sie zu ihm die im Fluge enteilenden Worte: »Ehre die Mutterbrust, Hektor, mein Sohn, und erbarme dich meiner! Reichte ich je dir die Brüste, um deinen Hunger zu stillen, denke daran, mein lieber Junge, und wehre den Gegner ab aus dem Innern der Stadt, tritt nicht ihm entgegen im Zweikampf! Grausam ist er! Falls er dich tötet, werde ich niemals dich auf der Bahre beweinen, den eigenen Sproß, auch die reiche Gattin wird es nicht dürfen; nein, weit entfernt von uns beiden, werden im Lager der Griechen dich streunende Hunde zerreißen!« Derart flehten sie beide zum teuren Sohne, in Tränen, innig, vermochten den Mutigen aber nicht zu bewegen: Standhaft erwartete er den Angriff des riesigen Gegners.“ [Homer: Ilias. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 5329 (vgl. Homer-W Bd. 1, S. 412 ff.) (c) Aufbau-Verlag] ….. Während Hektor mutig dem Achilleus entgegen trat erschein hinterhältig die Göttin Athene in der Gestalt des Deiphobos 1 und sprach; Ilias 22,229ff: »Teurer Bruder, gewaltig bedrängt dich der schnelle Achilleus, jagt um des Priamos Festung dich mit eilenden Füßen; bleiben wir, halten wir stand und wagen wir tüchtige Abwehr!« Ihm gab Antwort darauf der Held mit dem nickenden Helmbusch: »Früher schon warst, Dëiphobos, du mir der liebste von allen Brüdern, des Priamos und der Hekabe leiblichen Söhnen! Höher noch will ich in Zukunft dich schätzen, weil du es wagtest, mir zuliebe, nachdem du bedrängt mich gesehen, die Festung kühn zu verlassen, indes die anderen drinnen verbleiben!« Ihm gab Antwort die helläugig blickende Göttin Athene: »Teurer Bruder, mich baten Vater und würdige Mutter flehend, auf Knien nebeneinander, dabei die Gefährten, drinnen zu bleiben; so heftig zittern und zagen sie alle. Aber mein Herz in der Brust ward gequält von bitterem Kummer. Stürzen wir beide uns jetzt in den Kampf und gewähren den Lanzen keinerlei Schonung, um zu erfahren, ob der Pelide uns erlegt und die blutigen Rüstungen zu den gewölbten Schiffen davonträgt, oder ob dein Speer ihn überwältigt!« Derart sprach sie und ging ihm auch listig voran auf den Kampfplatz.“ [Homer: Ilias. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 5337 (vgl. Homer-W Bd. 1, S. 416-417) (c) Aufbau-Verlag] ….. Achilleus tötete Hektor. Den Leichnam band Achilleus an sein Pferdegespann und schleifte ihn dreimal um die Mauern der Stadt Troia. Die Mutter musste diesem grauenvollen Geschehen zusehen; Ilias 22,395ff: „Derart sprach er und rüstete sich zur Mißhandlung Hektors. Er durchbohrte dem Toten an beiden Füßen die Sehnen zwischen Knöchel und Ferse, durchzog sie mit Riemen aus Rindshaut, band sie am Wagenstuhl fest und ließ nachschleppen den Schädel. Darauf bestieg er das Fahrzeug, lud ein die prächtige Rüstung; anspornend schwang er die Geißel, und willig entstoben die Rosse. Staub umwirbelte den Geschleiften, die Strähnen des dunklen Haares umflogen das Haupt, der Kopf, so anmutig einstmals, wurde von Kot überdeckt. Zeus hatte dem Feind ihn geopfert, ließ ihn grausam entstellen am Boden der eigenen Heimat. Derart wurde das Haupt vollständig besudelt. Die Mutter schrie laut auf beim Anblick ihres mißhandelten Sohnes, raufte ihr Haar und warf weit fort den schimmernden Schleier. Kläglich begann auch der Vater zu jammern, und überall stimmte rings in der Stadt das Volk mit ein in das Schreien und Klagen. [Homer: Ilias. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 5345 (vgl. Homer-W Bd. 1, S. 421 ff.) (c) Aufbau-Verlag] ….. Hekabe beklagte den Tod ihres Sohnes; Ilias 22,430ff: „Hekabe brach bei den troischen Frauen aus in das Jammern: »Kind! Ich Arme! Was soll ich noch leben, nach furchtbarem Schlage, deinem Tod? Du warst in Troja die Nächte und Tage all mein Stolz, du warst in der Stadt auch Freude und Rettung sämtlichen Männern und Frauen, die dir göttliche Ehren zollten. Du warst für sie, tatsächlich, solange du lebtest, herrlichster Ruhm! Doch jetzt hat dich das tödliche Schicksal getroffen!« Derart klagte sie weinend.“ [Homer: Ilias. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 5347 (vgl. Homer-W Bd. 1, S. 423) (c) Aufbau-Verlag] ….. Anschließend schleifte Achilleus den geschändeten Leichnam in das Lager der Danaer um ihn den Hunden zum Fraß vorzuwerfen. König Priamos wollte jedoch seinen toten Sohn der Sitte entsprechend bestatten und fasste den Beschluss mit viel Gold vor Achilleus zu treten um den Leichnam frei zu kaufen. Hekabe war entschieden dagegen; Ilias 24,200ff: „Die Frau schrie auf und gab ihm zur Antwort: »Weh mir, wohin entwich dein Verstand, den einstmals die Menschen rühmten, Fremde wie Bürger deines Herrschaftsbereiches? Kannst du es wagen, allein zu den Schiffen der Griechen zu gehen, unter die Augen des Mannes, der dir zahlreiche tapfre Söhne erschlug? Dein Herz ist wohl so gefühllos wie Eisen! Sollte der grausame, tückische Mensch in die Hand dich bekommen und dich erblicken, so wird er sich deiner durchaus nicht erbarmen, keinerlei Rücksicht dir zollen. So laß uns denn, ferne den Schiffen, sitzen im Schlosse und weinen! Spann doch die grausame Moira, gleich, als ich Hektor gebar, ihm in den Faden das Schicksal, streunende Hunde dereinst zu sättigen, ferne den Eltern, bei dem gräßlichen Rohling - ich könnte mich mitten in seine Leber verbeißen und roh sie verschlingen! Das wäre für meines Sohnes Ermordung der Ausgleich. In ihm erschlug ja Achilleus keinen Feigling, sondern den Schutz der Troer und ihrer tiefgegürteten Frauen; er kannte kein Fliehen, kein Weichen.« Priamos, der betagte göttliche Herrscher, gab ihr zur Antwort: »Hemme mich nicht, ich bin zum Gehen entschlossen. …..“ [Homer: Ilias. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 5410 (vgl. Homer-W Bd. 1, S. 458 ff.) (c) Aufbau-Verlag] ….. Bevor er Troia verließ um sich in das Lager der Griechen zu begeben warnte ihn Hekabe; Ilias 24,286ff: „Vor die Gespanne trat sie und sprach die bittenden Worte: »Nimm und vollziehe die Spende für Zeus, und flehe um Heimkehr aus dem Bereich der verhaßten Feinde, da es nun einmal dich zu den Schiffen hintreibt, obwohl ich dagegen mich stemme. Flehe denn innig zum düster umwölkten Sohne des Kronos, der auf dem Ida thront und herabschaut auf Trojas Gefilde, bitte ihn um Entsendung des eilenden Boten, des Vogels, den er am stärksten schätzt und der an Stärke hervorragt, dir zur Rechten: den Adler vor Augen, dem Adler vertrauend, wirst du die Schiffe der rossetummelnden Griechen erreichen. Sollte dir Zeus das Erscheinen seines Boten verweigern, würde ich kaum dir zureden noch, die Fahrt zu den Schiffen der Argeier zu wagen, wie dringend du selber es möchtest.«“ [Homer: Ilias. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 5415 (vgl. Homer-W Bd. 1, S. 461) (c) Aufbau-Verlag] ….. Achilleus übergab dem alten Vater den Leichnam des Sohnes (Die Heimbringung des toten Hektor war auf einem Wandgemälde in Pompeji abgebildet). Hekabe konnte den Aufgebarten beweinen; Ilias 24,747ff: „Unter ihnen begann jetzt Hekabe bitter zu klagen: »Hektor, den ich von allen Söhnen am herzlichsten liebte, du, der bei Lebzeiten auch ein Günstling der Götter gewesen, deiner nehmen besorgt sie sich an sogar noch im Tode! Wen der Pelide von meinen übrigen Söhnen besiegte, den verkaufte er über die ruhelos wogenden Fluten, bis nach Samos und Imbros und zum rauchenden Lemnos; als er dir mit dem schneidenden Schwerte das Leben entrissen, schleifte er oftmals dich um das Grabmal seines Gefährten, den du erschlugst - er machte ihn damit nicht wieder lebendig! -, aber so frisch wie ein Atmender liegst du heut im Palaste, denen vergleichbar, die Phoibos, der Träger des silbernen Bogens, heimsucht und tödlich trifft mit seinen sanften Geschossen!« Derart rief sie, in Tränen, und fand kein Ende des Jammerns.“ [Homer: Ilias. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 5439 (vgl. Homer-W Bd. 1, S. 474 ff.) (c) Aufbau-Verlag] ….. Auf das Grab ihres Sohnes Hektor legte die trauernde Hekabe ein Haar; Ovid met. 13,427ff: „Hekuba, die man fand inmitten der Gräber der Söhne. Wie sie die Hügel umfing und mit Küssen bedeckte die Reste, Zog die dulichische Hand sie hinweg. Von dem einzigen Hektor Raffte die Asche sie noch und führte sie mit in dem Busen, Und ein ergrauetes Haar, zur dürftigen Spende dem Toten, Ließ sie auf Hektors Grab, ein Haar vom Scheitel, und Tränen.“ [Ovid: Verwandlungen (Metamorphoses). Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 13045 (vgl. Ovid-W Bd. 1, S. 318) (c) Aufbau-Verlag] ….. Aus der Iliupersis des Stechisoros wird überliefert, dass Hekabe nach dem Untergang von Troia von Apollon nach Lykien entrückt wurde. Es wird angenommen, dass es sich hier um uraltes Sagengut handelt und Hekabe zum Kreis des Apollon gehört haben muss. Dazu passen auch die Notizen, nach denen Apollon der Vater des Hektor und des Troilos gewesen ist. ….. Auch in den nachhomerischen Epen, in denen der Untergang von Troia beschrieben wird, spielt Hekabe nur eine untergeordnete Rolle. Ihre Anwesenheit beim Untergang der Stadt und bei der Ermordung ihres Ehemannes ist nur auf einer attischen schwarzfigurischen Vase und zwei Bechern, alle drei befinden sich in Berlin, nachgewiesen. ….. Begonnen hat die Katastrophe vom Untergang der Stadt Troia mit Paris, dem zweitgeborenen Sohn von Hekabe und Priamos. Die Kyprien kennen schon ihren Feuertraum vor der Geburt des Paris. Während Hekabe mit Paris schwanger war hatte sie einen furchtbaren Traum: Sie werde ein Feuer gebären, das Troia verbrennen werde; Apollodor 3,148. Aisakos 1, der prophetische Sohn des Priamos von Arisbe, weissagte, dass das Kind, das geboren werde, Trojas Untergang verursachen werde und empfahl, es sofort zu töten. Priamos übergab den neugeborenen Knaben seinem Hirten Agelaos 6 mit dem Befehl, das Baby am Berg Ida auszusetzen. Acht Tage nach der Aussetzung fand Agelaos das Kind wieder, kreuzfidel, eine Bärin hatte es gesäugt. Er nahm es mit in seine Hütte, gab den Knaben als sein eigenes Kind aus und zog ihn auf. Paris entwickelte sich zu einem wunderschönen starken Jüngling. Die Tapferkeit, mit der er die Herden gegen Räuber und wilde Tiere verteidigte, brachte ihm den Namen Alexandros (Verteidiger der Menschen) ein. Priamos, jahrelang vom schlechten Gewissen gepeinigt, setzte Leichenspiele für ein früh verstorbenes Kind an und versprach als Siegespreis den schönsten Stier aus der Herde die von Paris bewacht wurde. Um das schöne Tier nicht zu verlieren, meldete sich Paris zu den königlichen Spielen und gewann alle Wettbewerbe. Wütend wollten die Söhne des Priamos diesen dahergelaufenen Hirten töten. Doch Paris flüchtete an den Altar des Zeus (Asyl). Kassandra, seine Schwester, eine Seherin, erkannte ihn als jenes Kind, für das die Leichenspiele veranstaltet wurden. Mit viel Freude nahm man ihn in die Familie des Königs auf. Er heiratete Oinone, die Nymphe einer Quelle, und führte ein genüssliches Leben. Der Traum der Hekabe und die Weissagung des Aisakos wurden vergessen. ……… Als Paris eines Tages gemütlich am Berge Ida seine Herde bewachte kamen vier Gestalten geflogen, die drei Göttinnen Hera, Athene und Aphrodite und Hermes der Bote der Götter. Hermes erklärte ihm, dass er im Auftrage des Zeus Juror der ersten Misswahl des Weltenlaufes sein müsse und der schönsten der drei Göttinnen den mitgebrachten goldenen Apfel als Preis zu übergeben habe. Paris erschrak fürchterlich und wollte fliehen, doch Hermes hielt den Verängstigten fest. Die Göttinnen vergaßen die göttliche Würde der Frauen. Sie schmückten und parfümierten sich, poposten und buhlten, tänzelten einmal nackt und einmal angezogen vor ihm und versuchten den Schönen zu bestechen. Hera versprach ihm die Weltherrschaft, Athene, dass er alle Kriege gewinnen werde, Aphrodite aber versprach ihm die Liebe der Helena, der Gattin des Menelaos, der schönsten Frau der Welt. Natürlich überreichte er der Aphrodite den goldenen Apfel. Weil er dazu noch Hera und Athene mit dummen Äußerungen beleidigte, begannen beide Paris zu hassen und mit ihm seine Heimatstadt und beschlossen auf der Stelle seinen Tod und den Untergang von Troia. Begeistert kehrte er in den väterlichen Palast zurück und erklärte seiner Frau Oinone und seiner Familie, er müsse sofort nach Sparta um Helene zu holen. Kassandra, seine Schwester, sein Bruder Helenos 1, beide hatte die Gabe der Voraussehung, und seine Frau, sie hatte die Seherkunst bei Rhea gelernt, prophezeiten ihm seinen Tod und den Untergang Troias, wenn er Helena ihrem Mann entführen werde. Doch Himeros, der Gott der Liebessehnsucht, hatte ihn im Auftrage von Aphrodite bereits fest im Griff. Trotz heller Aufregung am Hofe des Priamos und innigster Bitten seiner Frau schiffte er sich nach Sparta ein, raubte Helena und floh mit ihr nach Troia. Die Griechen, gebunden an einen Eid, griffen Troia an. Zehn Jahre dauerte der Krieg, viele verloren das Leben, auch Paris, Troia fiel und wurde niedergebrannt. König Priamos und viele Troier und Troierinnen wurden ermordet, nur wenige konnten fliehen, überlebende Frauen wurden gefangen und unter den Achaiern als Sklavinnen verlost. Odysseus erhielt die einst stolze Königin Hekabe als Geschenk. Ihr Traum, dass sie ein Feuer gebären werde das Troia verbrennen würde, wurde Wirklichkeit. Und die Rache der Göttinnen war vollzogen. ……. Die gesamte Legende vom „Urteil des Paris“ ist vorhomerischen Ursprungs und wird in Homers Ilias 24,27-29 erstmals literarisch erwähnt: „Sondern sie haßten, wie schon zuerst, das heilige Troia, Priamos und sein Volk nur wegen des Paris Verblendung, Welcher die Göttinnen kränkte, die ins Gehöft ihm gekommen, Und diejenige pries, die ihm brachte die leidige Buhlschaft.“ Erst ca. 4oo Jahre später taucht die Legende in Fragmenten bei Sophokles und Euripides wieder auf. In der Form wie wir die Legende vom „Urteil des Paris“ heute kennen ist sie erst nach weiteren ca. 400 Jahren bei Ovid, Lukian u. a. festgehalten worden. Bildnerisch dargestellt wurde sie sehr oft und bereits ab dem 7. Jh. v. Christi. Pausanias beschreibt eine Abbildung auf der aus dem 6. Jh. v. Chr. stammenden Kypseloslade; 1,19,5: „Und Hermes führt die Göttinnen zum Schönheitsurteil zu Alexandros, Priamos´ Sohn. Auch bei diesen steht eine Beischrift: ´Hermeias hier unterweist Alexandeos, Richter zu sein über die Schönheit zwischen Hera, Athena und Aphrodita.´ ….. Der Tod ihres Mannes und der meisten ihrer Kinder, der Untergang ihrer Stadt, das furchtbare Unglück das sie erleben musste, machte aus der hoheitsvollen Königin eine durch dämonische Rachsucht aufgepeitschte Frau. Vielleicht schon bei Ion von Ephesos, aber endgültig mit Sophokles und Euripides, trat Hekabe in den Vordergrund. Sie wurde 424 v. Chr. mit der Uraufführung von Euripides` „Hekabe“ zu einer der großen Figuren der Weltliteratur. ….. Die Achaier bereiteten die Abfahrt in ihre Heimat vor. Hekabe musste das Schiff ihres Besitzers besteigen. Bei der Heimreise machte man beim thrakischen König Polymestor 1, einst oft Gast bei Priamos, jetzt ein Schwiegersohn der Hekabe und nach dem Untergang von Troia Verbündeten der Achaier, Rast. Aus Sicherheitsgründen hatten während der Kämpfe um Troia Priamos und Hekabe ihren jüngsten Sohn Polydoros zu König Polymestor und seine Frau Ilione, der ältesten Schwester des Polydoros, in die Obhut gegeben und ihn mit viel Gold ausgestattet. Hekabe hoffte ihren einzigen überlebenden Sohn wieder zu sehen. Doch Polymestor hatte den Knaben nach dem Untergang von Troia ermordet um in den Besitz des Goldschatzes zu kommen. ….. Die Einfügung des Polymestormythos und der Polyxenalegende in die Hekabe-Sage erforderte die die Lokalisierung des Geschehens in Thrakien. Die Thrakische Chersones ist deshalb der Ort der Handlung des Dramas „Hekabe“ von Euripides: Schiffslager der Griechen an der Küste der Thrakischen Chersones. Im Vordergrund die Zelte und Hütten der kriegsgefangenen troischen Frauen. POLYDOROS als Schatten heranschwebend. Gekommen bin ich von der Gruft der Toten und dem Tor der Nacht, wo Hades wohnt, den Göttern fern, ich, Polydoros, Sohn der Hekabe, der Tochter des Kisseus, und des Priamos, der mich, als durch den Griechenspeer die Phrygerstadt zu fallen drohte, vor Angst aus Troja heimlich schickte in das Haus des Polymestor, der sein Gastfreund war in Thrakien, der auf der Chersones das beste Land bebaut und ein vorzüglich Reitervolk im Kampfe führt. Und vieles Gold gab mir der Vater mit im stillen, auf daß, wenn einmal Trojas Mauern fallen sollten, die Söhne, die noch lebten, keinen Mangel litten. Ich war der jüngste Sohn des Priamos: Deshalb hat er mich heimlich fortgeschickt. Ich konnte ja nicht Schild noch Speer mit meinem jungen Arme tragen. Solange nun der Heimat Mauern aufrecht standen und ungebrochen Trojas Türme waren und mein Bruder Hektor siegreich sich im Kampfe hielt, wuchs trefflich bei dem Thraker, meines Vaters Gastfreund, ich auf, gleich einem Schößling, gut gepflegt, ich Armer! Doch als vernichtet Troja war und Hektors Leben, des Vaters Herd zerstört und selber er gestürzt am gotterrichteten Altar, gemordet von dem blutbefleckten Sohne des Achilleus, da erschlug mich Unglücklichen, um des Goldes willen, des Vaters Gastfreund, warf mich nach der Tat ins Meer, damit er selbst das Gold in seinem Haus besäße. Bald liege ich am Strand, bald in der Meeresbrandung, oft hin und her geschleudert von den Wogen, nicht beweint und ohne Grab. Jetzt schwebe ich zu Häupten der teuren Mutter Hekabe. Verließ ich doch den Leib und flattre schon zwei Tage lang umher, seitdem hier auf der Chersones, von Troja fort, sie angekommen, meine unglückliche Mutter. Und die Achaier alle sitzen ruhig, mit der Flotte, hier am Strand des Thrakerlandes. Denn auf seinem Grab erschien der Peleussohn Achilleus und hat dem ganzen Griechenheere Halt geboten, als übers Meer es in die Heimat rudern wollte: Polyxene verlangt er, meine Schwester, für sein Grab als teures Opfer und als Ehrenlohn. Er wird sein Ziel erreichen, seine Freunde werden die Gabe ihm nicht vorenthalten; heut noch soll das Schicksal meine Schwester hin zum Tode führen. Zwei Leichen zweier Kinder wird die Mutter sehen, mich und das unglückliche Mädchen. Ich will mich - damit ich Armer noch ein Grab erhalte - vor den Füßen einer Sklavin zeigen in der Brandung. Der Herr der Unterwelt gewährte mir die Bitte, daß ich bestattet werde und in Mutters Hand gerate. So wird meine Sehnsucht sich erfüllen. Jedoch der greisen Hekabe will aus dem Weg ich gehen. Aus dem Zelte Agamemnons kommt heraus sie eben, voller Furcht vor meinem Schatten. Ach, Mutter, die du, fern dem Königshaus, den Tag der Knechtschaft sehen mußtest! Schlecht ergeht es dir, wie einstmals gut. Dich stürzt ein Gott in das Verderben zum Ausgleich für das Glück in der Vergangenheit. [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3011 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 149 ff.) (c) Aufbau-Verlag] Gefangene Troierinnen führen Hekabe aus einem Zelt: HEKABE Führt, Kinder, die Greisin hinaus vor das Zelt, führt, richtet empor eure Sklavengenossin, ihr troischen Frauen, die einst eure Königin war! Ergreift und tragt und hebt und geleitet mich doch, faßt an meinen greisen Arm! Gestützt mit der Hand auf den krummen Stab, will ich mich bemühen, den Schritt der langsamen Füße vorwärts zu setzen. O Glanz des Zeus! O düstere Nacht! Warum werde nachts ich aufgescheucht von Bildern des Schreckens, Gespenstern? Du heilige Erde, du Mutter der schwarzbeflügelten Träume, ich weise von mir das nächtliche Bild, das ich von meinem in Thrakien gehüteten Sohne und von Polyxene, meiner geliebten Tochter, im Traume erblickte, das furchtbare! Ihr Götter der Erde, beschützt meinen Sohn, der ganz allein noch, als Anker meines Geschlechtes, im schneeigen Thrakien weilt, vom Gastfreund des Vaters behütet! Es steht ein Unglück bevor. Ein Jammerlied wird die Jammernde anstimmen. Noch nie hat mein Herz so ruhelos geschaudert, gebebt. Wo kann ich nur sehen den göttlichen Helenos und wo Kassandra, ihr troischen Frauen, damit sie mir deuten die Träume? Sah ich doch den scheckigen Hirsch, von blutiger Kralle des Wolfes zerfleischt, erbarmungslos meinem Schoße entrissen. Und das auch erschreckt mich: Es hat sich gezeigt hoch über der Spitze des Grabmals der Geist des Achilleus; er forderte eine der kummerbeladenen troischen Frauen als Opfer! Von meiner, von meiner Tochter wendet ab, Daimonen, dies Unheil, ich flehe euch an! [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3013 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 150 ff.) (c) Aufbau-Verlag] Eine der Gefangenen erscheint in Eile vor Hekabe und berichtet ihr, dass der Schatten des Achilleus auf seinem Grabhügel erschienen sei und die Opferung ihrer Tochter Polyxena verlangt habe. Im Rat der Griechen hätten sich viele, auch Agamemnon, dagegen ausgesprochen, doch Odysseus habe erreicht, dass die Mehrheit der Opferung zugestimmt habe. Er sie bereits auf dem Weg um die Bedauernswerte abzuholen. HEKABE. Wehe, ich Arme! Was soll ich nur jammern? Welch einen Klageschrei? Welch einen Wehruf? Elend im elenden Alter, in der Knechtschaft, die nicht zu ertragen, nicht auszuhalten! O weh mir! Wer hilft mir? Welch ein Geschlecht und welch eine Stadt? Dahin ist der Greis, dahin sind die Söhne. Wohin soll ich gehen, nach hier, nach dort? Wohin mich wenden? Wo ist ein Gott oder Daimon als Beistand? Ach, bitteres Unheil habt ihr gebracht, ihr troischen Frauen, ach, bitteres Unheil gebracht und habt mich vernichtet, vernichtet. Ich kann nicht mehr schätzen das Leben im Licht. Ach, leite mich, elender Fuß, ach, leite die Greisin zum Zelt hier! O Kind! O Tochter der unglücklichsten Mutter! Komm heraus, komm heraus aus dem Zelt! Vernimm den Ruf deiner Mutter, mein Kind, damit du erfährst, welch eine, welch eine Nachricht ich höre, die dich betrifft! POLYXENE kommt aus dem Zelt. O Mutter! Mutter! Was rufst du? Was meldest du Neues, so daß du mich, wie einen Vogel aus seinem Nest, mit diesem Schrecken herausgescheucht? HEKABE. O wehe, mein Kind! POLYXENE. Was klagst du um mich? Das ist mir ein trauriger Anfang! HEKABE. Dein Leben, ach! POLYXENE. Sprich es aus! Verbirg es nicht lange! In Furcht bin ich, Mutter, in Furcht, warum du so aufstöhnst. HEKABE. Ach, Kind, du Kind einer elenden Mutter! POLYXENE. Was hast du zu melden denn? HEKABE. Der gemeinsam gefaßte Beschluß der Argeier läuft darauf hinaus, dich zu opfern am Grab für den Sohn des Peleus! POLYXENE. O wehe mir, Mutter! Wie kannst du verkünden so schreckliches Unheil? Erkläre, erklär es mir, Mutter! HEKABE. Ich richte entsetzliche Botschaft aus. Man meldet mir, der Beschluß der Argeier habe entschieden über dein Leben. POLYXENE. Ach, Furchtbares mußt du erleiden, ach, alles mußt du erdulden, ach, Mutter, wie elend dein Leben! Welch bitterste, welch unsagbare Schmach hat wieder ein Daimon gebracht über dich? Ich werde nicht mehr, ich, dein Kind, nicht mehr mit dir in deinem elenden Alter, ich Elende, gemeinsam Sklavendienst leisten. Denn wie ein Junges, das in den Bergen heranwächst, ein Kälbchen, ein armes, wirst du Arme mich sehen, aus deinen Händen gerissen, die Kehle durchschnitten, hinabgesandt in das Dunkel der Unterwelt, zum Hades, wo ich inmitten der Toten, ich Unglückselige, liegen werde. Um dich nur, elende Mutter, weine ich in jammernder Klage. Mein Leben, meine Schande und Schmach, betraure ich nicht; nein, der Tod wird mir zuteil als besseres Los. [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3016 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 153 ff.) (c) Aufbau-Verlag] Begleitet von einigen Soldaten erschien Odysseus und verlangte die Herausgabe der Polyxena. HEKABE für sich. Weh mir! Ein schweres Ringen, scheint es, steht bevor, an Seufzern reich, und nicht an Tränen arm. Ich starb nicht, als ich hätte sterben sollen; Zeus hat mich nicht umgebracht, nein, er erhält mich, damit ich noch andres, größres Leid, ich Arme, sehen soll! Zu Odysseus. Doch wenn den Sklaven eine Frage an die Freien erlaubt ist, die nicht bitter ist und nicht das Herz verwundet, nun, so mußt du es dir sagen lassen und mich erhören, die ich solche Frage stelle. ODYSSEUS. Du darfst es, frage! Ich verweigre nicht die Frist. HEKABE. Denkst du noch dran, wie als Spion nach Ilion du kamst, entstellt durch schlechte Kleidung, und vom Auge dir blut'ge Tränen auf das Kinn herniederrannen, ... ODYSSEUS. Ich denk noch dran. Es prägte tief sich mir ins Herz. HEKABE. ... und Helena dich sah und mir allein es sagte, ... ODYSSEUS. Ich weiß es, die Gefahr war groß, in die ich stürzte. HEKABE. ... und meine Knie du umschlangest, voller Angst, ... ODYSSEUS. Daß meine Hand in deinem Kleide fast verdorrt! HEKABE. ... und ich dich schonte, aus der Stadt dich laufen ließ? ODYSSEUS. Auf daß ich heut das Sonnenlicht noch sehen kann. HEKABE. Was sagtest damals du, als du mein Sklave warst? ODYSSEUS. Viel Worte fand ich, um dem Tode zu entrinnen. HEKABE. Zeigst du dich nicht als ungerecht mit deiner Absicht, der du von mir empfangen, was du selbst bestätigst, und mir nicht Hilfe bringst, nein, schadest, wo du kannst? Ihr undankbare Sippschaft, die nach Ehren jagt als Redner vor dem Volk! Bleibt mir doch unbekannt, die ohne Rücksicht ihr den Freunden Schaden tut, wenn ihr der Masse nur zum Munde reden könnt! Was haben sie an Klugheit denn darin gesehen, ein Todesurteil über dieses Kind zu sprechen? Zwang euch die Pflicht, an Grabe Menschen hinzuschlachten, wo sich ein Rinderopfer eher ziemte? Will Achilleus seine Mörder zur Vergeltung morden und lenkt deshalb zu Recht auf sie den Todesstreich? Sie hat ihm doch nichts Böses angetan! Er sollte als Opfer für sein Grabmal Helena verlangen: Die war sein Untergang und führte ihn nach Troja! Soll eine sterben, ausgewählt aus den Gefangnen, durch Schönheit ausgezeichnet, so trifft uns das nicht! Die Schönste ist die Tochter des Tyndareos, und ihre Schuld fand man geringer nicht als unsre. Für die Gerechtigkeit verfecht ich diesen Streit. Was du erstatten mußt auf meine Forderung, vernimm es: Auf den Knien hast du meine Hand berührt, wie du gestehst, die greise Wange hier. Jetzt fasse ich dafür an Hand und Wange dich und fordre ein die alte Schuld und bitte dich: Reiß mir die Tochter nicht aus meinem Arme, tötet sie nicht! Genug an Toten! Sie ist meine Freude, und über sie kann ich vergessen meine Not. Für vieles ist sie mir ein Trost, sie ist mir Heimat und Pflegerin und Stütze, Führer auf dem Weg. Es sollen nicht die Sieger ihren Sieg mißbrauchen, die Glücklichen nicht wähnen, ewig Glück zu kosten. Auch ich war glücklich einst, ich bin es heut nicht mehr. Mein ganzes Glück hat mir ein einz'ger Tag geraubt. Hab Mitleid doch mit mir, bei deinem teuren Kinn, erbarme dich! Geh zum Achaierheer und mahne, ein Greuel sei es, Frauen zu ermorden, die zuerst ihr, als ihr sie von den Altären risset, nicht totgeschlagen, sondern mitleidsvoll verschont! Ein gleiches Blutgesetz hat bei euch Gültigkeit für Freie und für Sklaven. Und dein hoher Rang - selbst wenn das rechte Wort dir fehlt - wird überzeugen. Dasselbe Wort aus unberühmtem Mund wie aus berühmtem hat in keinem Fall die gleiche Geltung. [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3019 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 155 ff.) (c) Aufbau-Verlag] Doch Odysseus bleibt hart. Er bietet Hekabe seinen Schutz an doch die Tochter muss geopfert werden. Der Bitte des Schattens des toten Helden Achilleus, Polyxena ihm zur Ehre auf seinem Grab zu opfern nicht zu entsprechen, bezeichnet er als Torheit. HEKABE zu Polyxene. Mein Kind, verweht sind in die Lüfte meine Worte, umsonst gesprochen gegen deine Opferung. Besitzt du größre Kraft als deine Mutter, lasse zugleich, wie eine Nachtigall, nur alle Töne erschallen, damit du dein Leben nicht verlierst! Wirf jammernd vor die Knie dich des Odysseus hin und suche ihn zu rühren - Anlaß hast du: Kinder besitzt auch er -, vielleicht, daß ihn dein Schicksal dauert! [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3023 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 158 ff.) (c) Aufbau-Verlag] Doch Polyxene will nicht eine Bittende sein, sie, die Tochter eines Königs, in Freiheit aufgewachsen, einst auserwählt eines Königs Gemahlin zu sein, wolle lieber als Opfer sterben als Räume zu fegen und von irgendeinem irgendwo gekauften Sklaven entehrt zu werden. HEKABE. Gut sprachst du, liebe Tochter, doch am Guten haftet der Schmerz. Muß man dem Sohn des Peleus Dank erstatten und müsset ihr dem Tadel euch entziehen, nun, Odysseus, tötet nicht das Mädchen hier, nein, schleppt mich selber hin zum Scheiterhaufen des Achilleus, durchbohrt mich, schont mich nicht! Denn ich gebar den Paris, der mit dem Pfeil den Sohn der Thetis tödlich traf! [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3025 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 160) (c) Aufbau-Verlag] Odysseus lehnt das Angebot der Hekabe ab. Auch Polyxene ist gegen diesen Wunsch und tröstet ihre Mutter. Unter viel Tränen verabschiedet sie sich. Die Männer des Odysseus führen Polyxena ab. HEKABE. O weh! Ich sinke. Meine Glieder lösen sich. Faß deine Mutter, Kind, streck aus die Hand, gib her! Laß mich nicht kinderlos! - Dahin, ihr lieben Frauen... So möchte ich die Dioskurenschwester sehen aus Sparta, Helena: Mit ihren schönen Augen hat schmachvoll sie zerstört das reichbeglückte Troja. Sie bricht zusammen. [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3028 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 163) (c) Aufbau-Verlag] ….. Im Auftrag der Griechen erscheint der Herold Talthybios. Dieser tief mitfühlende Mann weckt Hekabe und berichtet ihr: TALTHYBIOS. Hier bin ich, dich zu holen, Frau: Dein totes Kind sollst du beerdigen. Es schicken mich die beiden Atriden und die Mannschaft des Achaierheeres. [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3031 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 165) (c) Aufbau-Verlag] Bewundert von allen Griechen habe Polyxena stolz und aufrecht den Dolchstoß erwartet. Mit Tränen beschreibt er der verzweifelten Mutter den letzten Gang ihrer Tochter. Schweren Herzens gibt Hekabe einer Dienerin den Auftrag einen Eimer Wasser vom Meer zu bringen, damit sie den Leichnam ihrer Tochter reinigen könne. ….. Die Dienerin kehrt zurück. Statt eines Eimers Wasser bringt sie jedoch den nackten Leichnam des Knaben Polydoros. DIENERIN kehrt zurück, die verhüllte Leiche des Polydoros tragend. Ihr Frauen, wo ist Hekabe, die Schwergeprüfte, die jeden, Mann wie Weib, an Unglück überbietet? Den Kranz des Sieges wird ihr keiner streitig machen. […..] Ich bringe hier für Hekabe die Elendslast. Im Unglück kann der Mensch kaum böse Worte meiden. Hekabe verläßt das Zelt. […..] DIENERIN. Du Ärmste, schlimmer, als ich sagen kann, du starbest, Gebieterin, du bist nicht mehr, obwohl du lebst - kein Kind, kein Mann, kein Vaterland: Du bist verloren! HEKABE. Nichts Neues sprichst du, sagst das Böse denen, die es wissen. Doch was bringst du mir den Leichnam her Polyxenes, um deren Grab, wie man gemeldet, die Griechen alle eifrig ihre Hände rühren? DIENERIN. Sie weiß nichts, sondern jammert um Polyxene. Noch hat sie von dem neuen Unheil nichts erfahren. HEKABE. O weh, ich Unglückliche! Bringst du mir das Haupt der gottbegeisterten Kassandra, der Prophetin? DIENERIN. Du sprichst von einer Lebenden. Den Toten hier beklagst du nicht. Enthüllt die verstümmelte Leiche. Schau doch den nackten Leichnam an: Erscheint er dir als Wunder nicht und unerwartet? HEKABE. Ich sehe meinen Sohn - ermordet - Polydoros, o weh, ihn hütete der Thraker mir im Haus! Zugrunde ging ich Unglückliche, bin nicht mehr! Mein Kind, mein Kind! O weh, abstimmen muß ich die Klage, ein bakchisches Lied, das ich jetzt erst gelernt vom Geiste des Fluchs! DIENERIN. Erkennst du deines Sohnes Unglück, Elende? HEKABE. Unglaublich ist, ganz unerhört, was ich erblicke. Auf ein Leid trifft ein anderes Leid, und niemals wird ohne Stöhnen und Tränen ein Tag zu Ende gehen. CHORFÜHRERIN. Du Arme, furchtbar ist das Leid, das wir erdulden. HEKABE. Mein Kind, du Kind einer elenden Mutter, welch einen Tod bist du gestorben, welch ein Schlag hat dich niedergestreckt? Wer hat ihn geführt? DIENERIN. Ich weiß nicht. An der Meeresküste fand ich ihn. HEKABE. Ans Land geworfen, oder tot durch Feindesspeer auf weitem Ufersande? DIENERIN. Des Meeres Wellenschlag hat ihn an Land gespült. HEKABE. O weh mir, o weh, jetzt verstehe das Bild ich, das im Traum meine Augen gesehn! Das Gespenst mit den düsteren Schwingen entging mir nicht, das ich wahrnahm bei dir, mein Sohn, der du nicht mehr weiltest im Lichte des Zeus. CHORFÜHRERIN. Wer schlug ihn tot? Verstehst du Träume, kannst es sagen? HEKABE. Mein Gastfreund, der Ritter aus Thrakien, zu dem der greise Vater ihn heimlich gebracht! CHORFÜHRERIN. Oh, was? Schlug tot ihn, sein Vermögen zu besitzen? HEKABE. Unsagbar, unaussprechlich, mehr als zu verwundern, ein Frevel und nicht zu ertragen. Wo bleibt das Gastrecht? Verfluchter, wie hast du mit stählernem Schwerte den Leib meines Sohnes getroffen, erbarmungslos zerstückelt die Glieder! [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3037 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 169 ff.) (c) Aufbau-Verlag] ….. Der Heerführer der Griechen, König Agamemnon, tritt vor Hekabe und rügt sie, weil sie den Leichnam ihrer Tochter noch nicht zur Bestattung abgeholt hat. Als er erfährt, dass der vor ihm liegende ermordete Knabe der jüngste Sohn der Hekabe ist, wird auch er von Mitleid ergriffen. Die Ursache dieses Mordes entsetzt den König und er erlaubt der flehenden Mutter die Rache an Polymestor. AGAMEMNON. Du rührst mich, Hekabe, und auch dein Sohn, dein Schicksal, die flehend ausgestreckte Hand; und um der Götter und um des Rechtes willen wünsche ich, daß dir der frevelhafte Gastfreund büßt - […..] HEKABE. Ach! Kein Sterblicher ist wahrhaft frei! Entweder ist er seines Geldes oder seines Glückes Diener, oder die Stadtgemeinde oder die Gesetzesschriften verwehren ihm, sein Leben wunschgemäß zu führen. Da du dich ängstigst und der Menge zu viel Wert beimißt, will ich befreien dich von dieser Furcht. Du brauchst es nur zu wissen, wenn ich Unheil sinne dem Mörder dieses Knaben, brauchst nicht mitzuhandeln. Doch gibt es bei den Griechen Lärm, zeigt sich dieAbsicht zu helfen, wenn der Thraker seine Strafe leidet, so schreite ein, doch scheinbar nicht um meinetwillen! Das andre alles, sei getrost, will ich besorgen! AGAMEMNON. Wie denn? Was willst du tun? Willst du ein Schwert ergreifen mit deiner Greisenhand und den Barbaren töten? Mit Gift? Mit fremder Unterstützung? Welche Hand wird dir sich bieten? Woher willst du Freunde haben? HEKABE. Das Zeltdach hier birgt eine Schar von Troerinnen. AGAMEMNON. Du meinst die Kriegsgefangenen? Die Griechenbeute? HEKABE. Mit ihnen will ich rächen mich an seinem Mörder. AGAMEMNON. Wie werden Frauen über Männer siegen können? HEKABE. Stark ist die Menge und, im Bund mit List, unschlagbar! AGAMEMNON. Stark schon - doch halte ich nicht viel vom Fraungeschlecht. HEKABE. Wie? Haben Weiber nicht die Söhne totgeschlagen des Aigyptos, und Lemnos ganz entblößt von Männern? Drum soll es so geschehn! Laß diese Sorge fahren! Auf eine Dienerin weisend. Geleite mir die Frau hier sicher durch das Lager! Zur Dienerin. Du geh zum Thraker, meinem Gastfreund, sage ihm: »Dich bittet Hekabe zu sich, die einst'ge Herrin von Troja, dir nicht weniger als ihr zuliebe, und deine Söhne. Auch die Kinder sollen hören ihr Wort.« - Verschiebe, Agamemnon, die Bestattung der grad geopferten Polyxene, damit in einer Flamme beieinander die Geschwister, der Mutter doppelt Herzeleid, beerdigt werden. [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3046 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 176 ff.) (c) Aufbau-Verlag] […..] POLYMESTOR tritt mit seinen beiden Söhnchen und Gefolge auf. Du bester Freund, mein Priamos, und beste Freundin, du, Hekabe, ich weine, muß ich dich erblicken und deine Stadt und deine jüngst gestorbne Tochter! Ach! Nichts ist zuverlässig, nicht der Ruhm noch gar das Glück, das nicht vor Unglück schützt! Die Götter mengen ja selber alles durcheinander, rückwärts, vorwärts, Verwirrung stiftend, damit wir, in Unkenntnis, vor ihnen Ehrfurcht haben. Doch was braucht es hier der Tränen - was am Unglück gar nichts bessern kann? Wirfst du mir vor, daß ferne ich geweilt, halt ein! Denn weit von hier, in Mittelthrakien, hielt ich mich auf, als du hierherkamst. Nach der Rückkehr wollte ich meinen Fuß gerade aus dem Hause setzen, da traf mich deine Magd und sprach das Wort, das ich nur anzuhören brauchte, um sogleich zu kommen. HEKABE. Ich scheue mich, dir, Polymestor, ins Gesicht zu schaun, wo ich in solchem Elend mich befinde! Denn wer mich sah im Glück, vor dem hemmt mich die Scham in dieser Not, in der ich heute lebe, und ich kann ihm nicht geraden Blicks ins Auge schaun. Sieh darin aber keine Feindschaft gegen dich, mein Polymestor! Sonst auch fordert ja die Sitte, daß Frauen nicht den Männern in das Antlitz blicken. POLYMESTOR. Das ist kein Wunder. Aber wozu brauchst du mich? Weshalb hast du aus meinem Haus mich kommen lassen? HEKABE. Ich möchte etwas ganz Persönliches zu dir und deinen Kindern sagen. Gib doch den Befehl an dein Gefolge, hier vom Zelt sich zu entfernen! POLYMESTOR. Geht fort! An einem sichren Ort sind wir allein. Du bist mir freund, befreundet ist mir auch das Heer der Griechen. Das Gefolge entfernt sich. Nur die Knaben bleiben zurück. Aber jetzt mußt du erklären mir: Was soll der Glückliche den unglücklichen Freunden an Hilfe spenden? Bin ich doch bereit dazu! HEKABE. Sag mir zuerst: Lebt Polydoros noch, mein Sohn, den du aus meiner und des Vaters Hand empfangen in deinem Haus? Das andre will ich nachher fragen. POLYMESTOR. Jawohl! Was ihn betrifft, bist du vom Glück begünstigt. HEKABE. Mein bester Freund! Wie gut und deiner würdig sprichst du! POLYMESTOR. Was möchtest du als zweites denn von mir erfahren? HEKABE. Denkt er an seine Mutter noch, denkt er an mich? POLYMESTOR. Er wollte sogar heimlich her zu dir sich stehlen! HEKABE. Hat er das Gold aus Troja glücklich mitgebracht? POLYMESTOR. Ja, unversehrt - in meinem Haus wird es bewacht. HEKABE. Behüt es, strebe nicht nach dem Besitz der andern! POLYMESTOR. Nein! Das will ich genießen, was ich habe, Frau! HEKABE geheimnisvoll. Weißt du, was dir ich und den Kindern sagen will? POLYMESTOR. Nein. Doch du wirst es mir mit deinen Worten künden. HEKABE. Es gibt, du Freund seit je, wie heute auch mein Freund, ... POLYMESTOR. Was denn, was ich und meine Söhne wissen sollen? HEKABE. ... vergraben, einen alten Schatz der Priamiden. POLYMESTOR. Davon willst du in Kenntnis setzen deinen Sohn? HEKABE. Jawohl, durch dich! Du bist ein pflichtbewußter Mann. POLYMESTOR. Wozu ist denn die Gegenwart der Knaben nötig? HEKABE. Stirbst du, so ist es besser, sie sind unterrichtet. POLYMESTOR. Zweckmäßig rietest du; so ist es klüger auch. HEKABE. Nun, kennst Athenes Tempel du in Ilion? POLYMESTOR. Dort liegt der Schatz? Und welch ein Merkmal gibt es da? HEKABE. Ein schwarzer Felsblock steigt dort aus der Erde auf. POLYMESTOR. Willst du mir Weiteres von dort berichten noch? HEKABE. Behüte mir das Geld auch, das ich mitgenommen. POLYMESTOR. Wo hast du es? Im Kleide oder sonst versteckt? HEKABE. Es wird verwahrt im Zelt hier, in der Beutemasse. POLYMESTOR. Wo? Rings erstreckt das Hafenlager sich der Griechen. HEKABE. Dies Zelt gehört allein den kriegsgefangnen Frauen. POLYMESTOR. Und sind wir drinnen sicher? Ist es frei von Männern? HEKABE. Darin ist keiner der Achaier, nur wir Frauen. Doch tritt ins Zelt! Denn die Argeier wünschen schon die Segel aufzuziehn, zur Heimfahrt, fort von Troja. Sobald du alles Nötige vollbracht, kehr um mit deinen Söhnen, dorthin, wo mein Kind du bargst! Mit Polymestor und den Kindern ab in das Zelt. […..] POLYMESTOR im Zelt, schreiend. O weh, geblendet wird mein Augenlicht, ich Armer! EINE FRAU AUS DEM CHOR. Habt ihr gehört des Thrakers Jammern, liebe Frauen? POLYMESTOR im Zelt. Und nochmals weh! Die Kinder! Grauenhafter Mord! EINE ANDERE FRAU. Ihr Lieben, Schreckliches geschah im Zelt soeben! POLYMESTOR im Zelt. Ihr sollt mir nicht mit raschem Fuß entrinnen! Schleudern will ich und eures Zeltes Schlupfloch so zerschmettern! CHORFÜHRERIN. Sieh, aus der starken Hand fliegt ihm die Waffe! Sollen ins Zelt wir stürzen? Denn die Stunde ruft uns, helfend der Hekabe, den Troerinnen beizustehn! HEKABE stürzt aus dem Zelt. Schlag zu, laß ja nicht ab, brich auf die Tür! Nie wieder wirst du den Augen ihre Sehkraft geben, nie die Söhne lebend sehen, die ich umgebracht! CHORFÜHRERIN. Den Thrakergastfreund hast du überwältigt, Herrin, bist Siegerin, hast ausgeführt, was du gesagt? HEKABE. Du wirst sogleich ihn aus dem Zelte kommen sehen, als Blinden, und mit blindem Fuße hilflos wankend, die Leichen auch der beiden Söhne, die mit Hilfe der tapfersten Trojanerinnen ich getötet. Ich strafte ihn. Da, siehst du, kommt er aus dem Zelt! Beiseite will ich gehen, aus dem Weg dem Thraker: Er schäumt vor Wut, man kann mit ihm den Kampf nicht wagen. Das Zelt öffnet sich. Man sieht die Leichen der Kinder. [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3050 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 179 ff.) (c) Aufbau-Verlag] Laut schreiend wankte der seines Augenlichts Beraubte aus dem Zelt und rief um Hilfe. POLYMESTOR. Hehe! Ohe! Ihr Thraker, Lanzenträger, Gewappnete, treffliche Reiter, von Ares begeistert! Ohe, ihr Achaier! Ohe, ihr Atriden! Hilfe, Hilfe schreie ich, Hilfe! Eilt her! Kommt her, bei den Göttern! Hört jemand? Will denn keiner helfen? Wozu säumt ihr? Weiber stürzten mich ins Verderben, die kriegsgefangenen Weiber! Furchtbares, Furchtbares mußte ich leiden! Weh mir, meine Schande! Wohin kann ich wenden mich, wohin gehen? Steige empor ich zum hohen Himmelsdach, wo Orion, wo Sirius aus ihren Augen funkelnde Flammenstrahlen versprühen, oder stürze hinab ich zur düsteren Furt des Hades, ich Elender? […..] AGAMEMNON tritt auf mit Gefolge. Ich hörte das Geschrei und kam. Denn, aufgescheucht, tobt durch das Heer das Kind der Felsenberge, Echo, und stiftet Lärm. Wenn wir nicht wüßten, daß die Türme der Phryger unter Griechenspeeren stürzten, so erregte dies Gebrüll nicht unerheblich Schrecken! POLYMESTOR. O bester Freund - an deiner Stimme, Agamemnon, erkannte ich dich -, siehst du, was ich dulden muß? AGAMEMNON. Ha! Polymestor! Ärmster, wer hat dich ins Unglück gestürzt? Wer raubte blutig dir dein Augenlicht und hat die Kinder hier erschlagen? Wer das tat, der hegte bittren Groll auf dich und deine Söhne! POLYMESTOR. Es hat mich Hekabe mit den gefangnen Frauen ermordet - nein, ermordet nicht, viel Schlimmeres! AGAMEMNON. Was? Solche Tat verübtest du, wie er berichtet? Du wagtest, Hekabe, solch unerhörtes Tun? POLYMESTOR. O ha! Was sagst du? Ist sie etwa in der Nähe? Sag, wo sie ist, daß ich mit meinen Händen packe, zerreiße sie, mit Blut besudle ihren Leib! AGAMEMNON. Was fällt dir ein? POLYMESTOR. Ich bitte, bei den Göttern, dich, laß mich ergreifen sie mit meiner wilden Hand! AGAMEMNON. Halt! Banne aus dem Herzen die Barbarenwut und sprich, daß nach der Reihe dich und sie ich höre und recht entscheiden kann, wofür du das erleidest! POLYMESTOR. So will ich reden. Polydoros war der Jüngste der Priamiden, Sohn der Hekabe. Ihn gab der Vater Priamos aus Troja mir, zur Pflege in meinem Hause; denn er ahnte Trojas Fall. Ihn schlug ich tot. Weshalb ich ihn getötet, höre, mit welchem Recht und welchem klugen Vorbedacht: Ich fürchtete, der Knabe, als dein Feind, er könnte, verschont, die Troer sammeln, neu die Stadt erbauen, die Griechen aber hören, daß ein Priamide noch lebe, und erneut zum Phrygerlande ziehen und plündernd dann die Thrakerfluren hier verwüsten, wobei den Nachbarn Trojas jene Not erwüchse, an der wir jetzt, mein König, litten. Hekabe erfuhr vom Tode ihres Sohnes, und sie lockte mich her durch das Versprechen, mir die goldnen Schätze der Priamiden zu entdecken, die in Troja vergraben seien; mich allein mit meinen Kindern lud sie ins Zelt, damit kein andrer davon höre. Ich saß, gekrümmt die Knie, mitten auf dem Lager. Und viele Töchter Trojas saßen neben mir, teils links, teils rechts, wie neben einem Freund, und lobten das Webstück von Edonerhand, indem sie hier den Mantel prüfend ganz genau betrachteten. Und andre schauten meinen Thrakerspeer sich an und nahmen mir dabei die Doppelwaffe fort. Die Mütter unter ihnen wiegten meine Söhne bewundernd auf den Armen, und um sie vom Vater zu trennen, gaben sie von Hand zu Hand sie weiter. Und dann - was meinst du! -, bei dem sanften Kosen, zogen sie plötzlich Dolche aus den Kleidern vor, mit denen die Kinder sie durchbohrten. Und die andern packten, wie Feinde, mich am Arm und Bein und hielten fest. Versuchte ich, um meinen Kindern beizustehen, nur mein Gesicht zu heben, rissen an den Haaren sie mich zurück, und wollte ich die Hände rühren, so richtete ich vor dem Weiberschwarm nichts aus, ich Unglücklicher. Schließlich - Greuel, mehr als Greuel! - vollbrachten sie das Furchtbare: durchbohrten mit den Kleiderspangen mir die armen Augensterne bis auf das Blut! Dann flüchteten sie eilig durch das Zelt. Doch ich sprang auf, gleich einem wilden Tier, und setzte nach der blutbefleckten Meute, spürte das ganze Zelt aus, wie ein Jäger, warf und schlug. So ging es mir, weil dir zuliebe, Agamemnon, ich eifrig war und deinen Feind beseitigt habe. Doch um nicht allzulang die Worte auszudehnen: Wenn man schon in der Vorzeit Weiber schmähte oder sie jetzt schmäht oder auch in Zukunft schmähen wird, das alles kann zusammenfassen ich und sagen: Solch eine Sippschaft nähren weder Meer noch Land. Wer jeweils unter sie gerät, der weiß Bescheid! [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3057 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 185 ff.) (c) Aufbau-Verlag] Doch Agamemnon durchschaute diese Heuchelei und verurteilte Hekabe nicht. Rasend vor Zorn prophezeite er Hekabe ihre Verwandlung in eine feurige Hündin und Agamemnon seinen Tod durch die eigene Gemahlin. AGAMEMNON. Es ist mir lästig, über fremdes Leid zu richten, doch nötig; denn es bringt mir Schande, diesen Fall erst in die Hand zu nehmen, dann ihn abzuweisen. Zu Polymestor. Nimm du zur Kenntnis: Weder mir noch den Achaiern zuliebe, glaub ich, hast du umgebracht den Gastfreund - nein, dir das Gold in deinem Hause anzueignen! Du sagst in deiner Not nur, was dir günstig ist. Wahrscheinlich wiegt bei euch ein Mord am Gastfreund leicht; doch für uns Griechen ist das eine Schmach. Wie kann dem Tadel ich entgehn, spräch ich dich frei von Schuld? Ich kann es nicht! Nein! Was nicht recht ist, wagtest du zu tun - so dulde denn auch, was nicht angenehm! POLYMESTOR. Weh! Einer Sklavin, scheint es, soll ich unterliegen und mich von Tieferstehenden bestrafen lassen! HEKABE. Und nicht mit Recht, wenn du Verbrechen ausgeübt? POLYMESTOR. Oh! Hier die Kinder! Meine Augen! Ach, ich Armer! HEKABE. Es schmerzt dich. Wie? Du meinst, mich schmerzt mein Junge nicht? POLYMESTOR. Du freust dich noch, mich zu verhöhnen, Listige? HEKABE. Soll ich mich über deine Strafe denn nicht freuen? POLYMESTOR. Sehr bald nicht mehr, wenn dich die Flut des Meeres erst... HEKABE. ... zu Schiff davonträgt zu den Grenzen Griechenlands? POLYMESTOR. ... bedeckt, nachdem vom Mastbaum du herabgestürzt! HEKABE. Wer ist es, der zu diesem Sprung mich zwingen wird? POLYMESTOR. Du selber wirst den Mast des Schiffes aufwärts klimmen. HEKABE. Mit Flügeln auf dem Rücken, oder wie denn sonst? POLYMESTOR. Zur Hündin sollst du werden, feuerrot die Augen! HEKABE. Woher erfuhrst du die Verwandlung meines Körpers? POLYMESTOR. Mir sagte das Dionysos, Prophet der Thraker. HEKABE. Und von dem Leid, das du trägst, hat er nichts gesagt? POLYMESTOR. Dann hättest du mich niemals so mit List umgarnt. HEKABE. Soll tot ich oder lebend dort mein Los erfüllen? POLYMESTOR. Tot! Und man wird den Hügel deines Grabes nennen... HEKABE. Nach meinem Äußren, willst du sagen, oder wonach? POLYMESTOR. ... das Grab der armen Hündin, Warnmal für die Schiffer. HEKABE. Mich schert es nicht, wenn du nur Buße mir gezahlt! POLYMESTOR. Es muß ja auch Kassandra, deine Tochter, sterben. HEKABE. Ich speie drauf! Der Fluch soll auf dich selber fallen! POLYMESTOR auf Agamemnon weisend. Sein Weib wird sie erschlagen, eine böse Hausfrau! HEKABE. So soll die Tochter des Tyndareos nicht wüten! POLYMESTOR. Ihn selber auch, mit hochgeschwungnem Opferbeil! AGAMEMNON. He du, bist du verrückt und willst ins Unglück stürzen? POLYMESTOR. Schlag mich nur tot! Ein Blutbad harrt in Argos deiner! AGAMEMNON. Zieht ihn beiseite doch, ihr Diener, mit Gewalt! POLYMESTOR von Dienern gepackt. Dies anzuhören, tut dir weh? AGAMEMNON. Stopft ihm den Mund! POLYMESTOR. Sperrt mich nur ein: Es ist gesagt! AGAMEMNON. Setzt ihn so schnell wie möglich aus auf einer menschenleeren Insel, weil er so zügellose, freche Reden führt! Polymestor wird abgeführt. Du, Hekabe, du Arme, mach dich auf, bestatte die beiden Toten! Ihr müßt, Troerfrauen, zu den Zelten eurer Herren gehen. Denn ich spüre hier schon den Luftzug, der uns in die Heimat bringt. Ach, kämen glücklich wir ins Vaterland, erblickten im Glück auch unser Heim, erlöst von dieser Not! [Euripides: Hekabe. Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 3062 (vgl. Euripides-W Bd. 1, S. 189 ff.) (c) Aufbau-Verlag] ….. Auch in der römischen Kaiserzeit war Hekabe sowohl in der griechischen als auch in der römischen Literatur dank der Bedeutung der Ilias und später der Aeneis ein fester Bestandteil des literarischen Schaffens. Als Beispiel Ovid´s Fassung des Polymestor- und Polyxene-Themas; met. 13,429ff: „Phrygiens Strand alldort gegenüber, wo Troja gestanden, Liegt ein Gebiet, von Bistonen bewohnt. Dort war Polymestors Prächtige Königsburg, dem dich, Polydorus, zur Pflege Heimlich der Vater vertraut und den phrygischen Kämpfen entzogen, Weise bedachter Entschluß, wenn nicht auch Schätze er mitgab, Lohn für frevelnde Tat und gierigen Sinnes Verlockung. Als nun Phrygiens Glück in Staub lag, nimmt der verruchte König der Thraker das Schwert und durchschneidet die Kehle dem Pflegkind; Dann, als könnt er die Schuld wegschaffen zugleich mit dem Leichnam, Stürzt er hinab ins Meer den Entseeleten oben vom Felsen. Rastend am thrakischen Strand lag Atreus' Sohn mit der Flotte, Harrend auf ruhige See und besser befreundete Winde. Hier steigt plötzlich hervor, so groß, wie er lebend gewesen, Aus weit berstendem Grund in drohender Haltung Achilles, Und in dem Antlitz trug er dieselbe Miene wie damals, Als er im Grimm angriff mit vermessenem Schwert Agamemnon. »Mein so wenig gedenk ziehet ab ihr«, sprach er, »Achiver? Wäre verscharrt mit mir der Dank für unsere Taten? Das sei fern, und damit mein Grab nicht Ehre vermisse, Ströme Polyxenas Blut des Achilles Manen zur Sühne!« Sprach's, und dem zürnenden Geist ward Gehorsam: vom Busen der Mutter Reißen die Krieger ihr fast noch einziges Kind, und die Jungfrau, So unglücklich und stark, über weibliche Schwäche erhaben, Wird zu dem Grabe geführt als Opfer an schrecklicher Brandstatt. Ihrer blieb sie gedenk, und als sie am grausamen Altar Stand und sah, daß ihr nur galt die entsetzliche Feier, Und Neoptolemos sah dastehn und halten das Eisen, Während an ihrem Gesicht sein Blick stets haftete, sprach sie: »Zaudere nicht, laß rinnen das Blut untadligen Adels. Auf, ich stehe bereit: in den Hals hier oder den Busen Senke den Stahl!«, und den Hals entblößt sie zugleich und den Busen. »Sklavin zu sein irgendwem könnt Polyxena niemals ertragen, So wird aber ein Gott durch seltenes Opfer gesühnet. Bliebe mein Tod nur stets, das wünscht ich, verborgen der Mutter! Sie nur hindert und trübt mir die Freude des Todes, wiewohl ihr Nicht mein Tod, vielmehr ihr Dasein ist zu beseufzen. Ihr, damit nicht unfrei zu stygischen Manen ich gehe, Bleibet mir fern, wenn gerecht mein Begehr, und berühret die Jungfrau Nicht mit männlicher Hand. Für jenen gewiß ist genehmer, Wem ihr auch immer gedenkt mein Blut zur Sühne zu weihen, Frei sich bietendes Blut. Doch falls euch rühren die letzten Worte aus unserem Mund - des Königs Priamus Tochter, Jetzt die Gefangene, fleht -, gebt willig der Mutter die Leiche; Laßt sie das traurige Recht der Bestattung erkaufen mit Tränen, Nicht mit Gold! Sie erkaufte mit Gold auch, als sie es konnte.« Also redete sie. Nicht wehret die Menge den Zähren, Denen Polyxena wehrt. Selbst weinend, mit zagender Rechten Stößt in die harrende Brust das gebotene Eisen der Priester. Jene, mit brechendem Knie kraftlos zur Erde hinsinkend, Ließ nichts blicken von Furcht im Gesicht beim nahenden Ende. Da auch, während sie fiel, noch war sie besorgt, zu verhüllen, Was zu bedecken geziemt, und züchtige Scham zu bewahren. Trojas Frauen sind stützend ihr nah und gedenken beweinter Priamiden und was ein Haus an Blute gegeben, Klagen um dich, Jungfrau, und um dich, jüngst Königsgemahlin, Königsmutter genannt, ein Abbild des blühenden Asiens, Nun ein verachtetes Stück vom Raub, das der Sieger Ulixes Nicht hinnähme für sich, wenn dir nicht Hektor das Leben Hätte verdankt: kaum findet den Herrn für die Zeugerin Hektor. Die umschlinget den Leib, der bar der so mutigen Seele; Tränen, geweint so oft um das Land und den Mann und die Kinder, Weint um diese sie auch; mit Tränen begießt sie die Wunde, Deckt mit dem Munde den Mund und schlägt an den trauergewohnten Busen und schleift im geronnenen Blut das erblichene Haupthaar, Und mit gegeißelter Brust auch solches zu anderem sprach sie: »Tochter, du letzter Verlust - denn was bleibt übrig? - der Mutter, Tochter, du liegst, und ich seh in der deinen die eigene Wunde. Daß nicht, außer durch Mord, ich einen verlöre der Meinen, Klafft auch Wunde an dir. Dich hatt ich, weil du ein Weib warst, Sicher gewähnt vor dem Stahl: als Weib auch sankst du vom Stahle. Er brachte dir den Tod, der auch so viele der Brüder Tötete, Trojas Verderb und unser Verwaiser, Achilles. Als ihn mit dem Geschoß hinstreckten Paris und Phoebus, Sprach ich: 'Fürder ist nun doch nicht zu fürchten Achilles.' Da noch war er zu fürchten für mich. Des Bestatteten Asche Wütet in unsrem Geschlecht, und wir spüren im Grabe den Feind noch. Dem Aeaciden gebar ich die Kinder! Ilion liegt jetzt, Mächtig voreinst, und des Volkes Not fand ein schreckliches Ende, Aber sie endete doch. Für mich steht Pergama jetzt noch, Und nie endet für mich der Schmerz. Jüngst mächtig von allen, Groß durch die Eidame all, durch die Kinder, die Töchter, den Gatten, Muß ich verbannt, hilflos, von den Gräbern der Meinen gerissen, Fort zu Penelopes Dienst. Die sagt dann Ithakas Müttern, Deutend auf mich, wenn ich spinne mein Teil: 'Das ist die berühmte Frau, die Hektor gebar, das ist des Priamus Gattin!' Nach dem Verlust so vieler bist du, in dem Jammer der Mutter Noch ihr einziger Trost, am feindlichen Grabe geopfert. Totengabe gebar ich dem Feind. Was bleib und verweil ich, Hart wie Stahl? Was hebst du mich auf, vieljähriges Alter? Grausame Götter, wozu noch dehnt ihr das Leben der Greisin, Als daß Leichen sie sieht stets neu? Wer möchte vermeinen, Daß nach Pergamas Fall noch Priamus glücklich zu preisen? Ja, er ist glücklich im Tod: er sah nicht, wie sie gemordet Dich, mein Kind, und schied von dem Leben zugleich und der Herrschaft. Doch sie bestatten dich wohl hochfeierlich, fürstliche Jungfrau, Setzen gewiß dich bei in der Stammgruft neben den Ahnen? So wohnt nicht in dem Hause das Glück! Als Spende der Mutter Werden dir Tränen zuteil und ein Häuflein Sand in der Fremde. Uns ist alles geraubt. Mir bleibt, weshalb ich dem Leben Gönne noch kurzen Bestand, Polydorus, der liebste der Mutter, Jetzo der einzige, sonst vom männlichen Stamme der jüngste, Den der Ismarierfürst aufnahm an diesen Gestaden. Doch was säum ich indes, ihr die grausame Wunde zu waschen Und das bespritzte Gesicht von dem schrecklichen Blute zu säubern?« Also sprach sie und ging mit wankendem Schritte, die weißen Haare zerrauft, an den Strand. »Reicht den Krug mir, Frauen aus Troja!« Hatte die Ärmste gesagt, daß flüssige Wellen sie schöpfte: Sieh, sie gewahrt, wie, zum Ufer gespült, tot liegt Polydorus Und von dem thrakischen Schwert weit klafft die entsetzliche Wunde. Laut schrein Trojas Fraun; stumm bleibt im Schmerze die Mutter; Stimme zugleich und Tränen, in ihrem Innern entstanden, Schluckt ihr der Schmerz hinab, und vergleichbar mit hartem Gesteine, Starrt sie und heftet den Blick bald vor sich hin auf die Erde, Bald auch richtet sie auf zum Äther das finstere Antlitz, Bald das Gesicht, bald schaut sie die Wunde des liegenden Sohnes, Aber die Wunde zumeist, und nährt und schüret den Ingrimm. Wie er zur Flamme gefacht, da füllt, als bliebe sie immer Königin, Rache ihr Herz, und sie lebt in Gedanken an Strafe. So wie die Löwin in Wut, der genommen das saugende Junge, Ohn ihn zu sehen, dem Feind nachjagt, des Spur sie gefunden: So nimmt Hekuba auch, da Zorn sich mengte mit Jammer, Nur ihres Stolzes gedenk, nicht ihrer Jahre gedenkend, Zu Polymestor den Weg, dem Verüber des gräßlichen Mordes, Und sie begehrt ein Gespräch: Gold wolle sie, das in der Heimat Läge versteckt, auf daß er es gebe dem Sohn, ihm verraten. Glaublich erschien's, und der Fürst der Odryser, gewöhnt an die Habgier, Findet allein sich ein. Arglistig mit schmeichelndem Munde Sprach er: »Hekuba, gib nur rasch für den Sohn die Geschenke. Was du mir gibst, was früher du gabst - bei den Himmlischen schwör ich -, Alles verbleibt für ihn.« Wie er redete, schuldig des Meineids, Schaut sie finster ihn an und wallt von steigendem Zorne. So nun packt sie ihn fest und ruft der gefangenen Mütter Menge herzu und stößt in die treulosen Augen die Finger, Reißt sie im Nu aus den Wangen heraus - stark macht sie der Ingrimm -, Bohrt mit den Händen und gräbt, mit dem schuldigen Blute besudelt, Nicht in den Augen, davon nichts blieb, in der Stelle der Augen. Aber die Thraker, erbost, daß solches dem Herrscher getan ward, Fallen die Troerin an mit Steinen zugleich und Geschossen. Nach geworfenem Stein eilt jene mit heiserem Heulen Und will schnappen danach, und wie sie zu reden gedachte, Scholl aus dem Rachen Gebell - noch heute, benannt nach dem Wunder, Zeigt man den Ort -, und lange gedenk vormaliger Leiden, Heulte sie da auch noch voller Schmerz in sithonischen Fluren. Ihre Trojaner bewegt und sogar die pelasgischen Feinde Hekubas herbes Geschick; es bewegt auch alle die Götter, Alle gesamt, so daß gar Jupiters Gattin und Schwester Selber gestand, das habe sie nicht zu erleiden verdienet.“ [Ovid: Verwandlungen (Metamorphoses). Dichtung der Antike von Homer bis Nonnos, S. 13045 (vgl. Ovid-W Bd. 1, S. 318 ff.) (c) Aufbau-Verlag] ….. Nach Nikander hat sich Hekabe sofort nach dem Tod des Priamos in eine Hündin verwandelt und in den Hellespont gestürzt. Der Kern des Mythos, die Verwandlung der Hekabe in eine rasende Hündin, ist uralt und der Beweis, dass Hekabe eine Hypostase der westtürkischen dämonischen Göttin Hekate ist, einer chthonischen Gottheit die auch als Hündin gedacht wurde, die u. a. mit Hunden dargestellt wurde und der man auch Hunde geopferte. ….. Auch in Euripides` „Die Troianerinnen“, UA 415 v. Chr., ist Hekabe die zentrale Figur und wird am Ende auf einem Schiff in die Knechtschaft geführt. Einige erzählen, dass Helenos, der einzige überlebende Sohn des Priamos und der Hekabe, seine Mutter Hekabe geschenkt bekommen hat. Er habe sie auf die Cherronesos begleitet und, als sie sich in eine Hündin verwandelte und im Meer den Tod gefunden habe, dort bestattet; Apollodor E5,24. Simonides schreibt: „Zur Hündin wildfunkelnden Blicks; die ehern aus Grauen Kinnbacken laut Häulende hört Berg Ida sowie Tenedos, meeresumflutet, und Thrakniens sturmwindumworbene Felsen.“ (Werner Oskar: Simonides Bakchylides, Gedichte. Griechisch und deutsch herausgegeben und übersetzt von Oskar Werner. Heimeran Verlag München. 1 Auflage, Seite 39, 1957. 2. Nach Hygin fab. 170 eine Tochter des Danaos. Sie tötete in der Hochzeitsnacht im Auftrag ihres Vaters den ihr aufgezwungenen Ehemann Dryas. ….. Aigyptos, durch die Flucht seines Bruders mächtiger König von Arabien, Ägypten und Libyen, hatte 50 Söhne und wünschte die Verheiratung mit den 50 Töchtern seines Bruders Danaos. Danaos lehnte ab, Aigyptos zog mit einem Heer und seinen Söhnen nach Argos und bedrohte die Stadt. Danaos willigte in die Hochzeit ein, verloste seine Töchter den 50 Söhnen des Aigyptos, gab aber allen vor der Hochzeitsnacht einen Dolch und den Auftrag, die frisch angetrauten Ehemänner zu ermorden. 49 Töchter gehorchten, nur Hypermestra 1 verschonte ihren Gatten Lynkeus 2, weil er ihrer Bitte, ihre Jungfräulichkeit zu schonen, entsprochen hatte. Sie verhalf ihm sogar zur Flucht. Ihre Schwestern schnitten den Toten die Köpfe ab, brachten sie Danaos als Beweis und bestatteten sie auf dem Berg Larisa. Die Körper begrub man bei Lerna.