eine gesamtgenealogie der griechisch-mediterranen mythologie
die göttinnen und götter und ihre nachkommen
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kybele
KYBELE „Mater Magna“, die „Große Mutter“. Sie war eine kleinasiatische Mutter- und Urgöttin aus prähistorischer Zeit, die schon im 3. Jahrtausend v. Chr. im gesamten östlichen Mittelmeerraum in verschiedensten Formen verehrt wurde und ihre noch viel älteren Wurzeln im anatolischen, assyrischen, persischen und indischen Bereich hat. Sie ist die einzige fremde Göttin die keinen Platz im Götterhimmel der Griechen gefunden hat und dennoch mit ihren Funktionen hoch verehrt wurde; man setzte sie mit Rhea, der Göttermutter des griechischen Olymp gleich, weil sich ihre Funktionen deckten. Die altanatolische, schon prähistorisch nachweisbare Mutter-, Erd- und Berggöttin wurde in den am frühesten bekannten Formen der Götterverehrung, in Steinen mit hervorstechender Form (Steinkult, vergleiche mit Hermen, meist als Phallus- oder Uterussymbol), in Bergen, Felshöhlen u. dgl. kultisch verehrt und mit den Lallworten Ma, Amma oder Nana angerufen. In einer Vielzahl von Hypostasen und Eigenentwicklungen erhielt sie Namen wie Sipylene, Lobrine, Dindymine, Berekyntia, Idaia, Mater Kubile / Kubileya / Kubeleya (daraus entwickelte sich ihr späterer griechischer Name), Korbyantes, Agdistis, Nana u. a. und wurde im Raum Kreta, Anatolien und Syrien in verschiedene Einzelgottheiten geteilt und weiterentwickelt. ….. Neben vielen anderen Geschichten erzählt eine alte phrygisch-lydische Legende von einem Maion 2, der als Vater der Kybele mit einer Dindyme als Mutter genannt wird. Die kleine Kybele wurde ausgesetzt, aber gerettet. Attis verliebte sich in Kybele, schwanger kehrte sie zu den Eltern zurück, wurde wieder erkannt, aber Maion ließ den Attis und sein Gefolge töten. ….. Seit ca. dem 7. Jh. v. Chr. war sie Schutzgöttin der lydischen Mermnaden und hatte einen Kult auf dem Berg Tmolos. Die Kolossalbilder der Göttin am Quellheiligtum des Sipylos verweisen auf ihre Funktion als Heilerin / Ärztin von Mensch und Tier. Als Mutter der Götter, Götterkönigin und Berggöttin mit starkem Bezug zur Fruchtbarkeit und der steten Erneuerung in der Natur war sie wesensverwandt bis deckungsgleich mit der mysischen Adrasteia, der persisch-anatolischen Artemis Anaitis, der hurr.-anat. Hipta, der phrygischen Idaia, der kretisch–minoischen Rhea, der kleinast.-heth. Kubaba, der sumerischen Götterkönigin Kubada u. a. Auf einer Tontafel aus dem 18. Jh. v. Chr. nennt sich eine sumerische Prinzessin Matrunna „Dienerin der Kubaba“. Der sprachliche Ursprung ihres Namens ist in KU(M)B/P-(A) = Höhlung, später weiterentwickelt zu Grab, Berghöhle, Felsloch, im lykischen KUBA = Felsgrab, im etruskischen CUPE = Trinkschale und im Lateinischen CUPA = Tonne, Grab, zu suchen. Diese Begriffe führen weiterentwickelt zum Begriff Uterus und umfassen damit die göttliche Mutterschaft der Kybele, zur stets sich erneuernden Göttin der Fruchtbarkeit. ….. Pluto 2, die berekyntische Nymphe, war eine Tochter der berekyntischen Großen Mutter Kybele und des Kronos. Sie kann auch die Kybele selbst sein mit dem Namen Pluto als die große Beschenkende, weil in dieser Gegend die Natur die Menschen mit großem Goldreichtum im Berg Tmolos und im Sand der Flüsse beschenkte; Kerenyi, Die Heroen-Geschichten S. 53. Pluto 2 wird überliefert als: - Gemahlin des Zeus mit Tantalos 1 als Sohn; - Gemahlin des Tmolos mit Tantalos 1 als Sohn; - Gemahlin des Tantalos 1 mit Atlas und Pelops als Söhne. Wie immer sie auch eingereiht wurde, sie war die Stammmutter des grauenhaften Geschlechtes der Tantaliden. ….. In der Kunst dargestellt wurde sie göttlich thronend oder stehend, in Knossos als Berggöttin auf einem von zwei Löwen gezogenen Wagen, mit wahlweise den Attributen Vogel, Schleier, Schnabelkrug, Spiegel, Granatapfel, Löwe und Stier und trug auf dem Kopf die Stadtkrone, eine mit Zinnen versehene Stadtmauer, die den königlichen Schutz der Gemeinschaft symbolisierte. In späteren Zeiten entwickelten sich daraus die Kronen der Könige und Kaiser, die bis heute, siehe z. B. England, symbolische Gültigkeit haben. Begleitet wurde die Göttin stets von Mänaden und den Korybanten, die die Griechen mit den Daktylen gleichsetzten. Dieses Gefolge von wilden jungen männlichen Gottheiten, die mit den „Berginstrumenten“ Zimbeln, Handpauken, Flöten und Holzklappern stets fürchterlichen Krach machten, verkörperte die erotisch-ekstatische Natur der Männer bis hin zur aufopfernden blutigen Selbstkastration. ------ Unter dem Namen Mater Magna zog auf Weisung der sibyllinischen Bücher Kybele, aus Pergamon kommend, mit Unterstützung des befreundeten Königs Attalos I im Jahre 204 v. Chr. in Rom ein. Ihr Kultstein, ein schwarzer Meteorit (vergleiche mit der Kabaa), wurde feierlich von Pessinus nach Rom überführt und im Tempel der Victoria aufgestellt. Im Jahre 191 v. Chr. wurde ihr eigener Tempel an der Südwestecke des Palatin fertig gestellt. Kaiser Augustus hat ihn erneuern lassen, weil die Römer sie als Schutzpatronin ihrer troianischen Vorfahren betrachteten. Ihr zur Ehre wurden alljährlich vom 4. bis 10. April die „ludi Megalenses“ gefeiert. Einige römische Kaiserinnen ließen sich mit Kybele / Mater Magna identifizieren und von Bildhauern verewigen. Das Fundament des Tempels, direkt neben dem restaurierten Wohnhaus des Augustus, steht heute noch. ------ Die in Ansätzen stets vorhandene Zweigeschlechtlichkeit der Göttin kommt im phrygischen Agdistis-Mythos (Agdistis = Kybele), Pausanias 7,17,9-12, klar zum Ausdruck, ebenso der Versuch der Einordnung der Kybele in die griechische Götterwelt; lies dazu Nana und Attis >. Aus der Beziehung der Kybele zu Kombabos, dem Eunuchenpriester und Geliebten der Göttin, und Attis, der sich ebenso wie Kombabos im Wahn selbst kastrierte, entwickelte sich in hellenistischer Zeit aus dem Kybele-Attis-Kult eine Mysterien-Religion mit hemmungsloser Raserei und blutigen Praktiken bis zur Selbstkastration einer durch den Lärm der Berginstrumente stimulierten ekstatisch erregten Dienerschaft. Die abgeschnittenen, „der Göttin geopferten Geschlechtsteile“, wurden als Symbole der Fruchtbarkeit vergraben. Diese Mysterien übten schon in frühester Zeit auf die Menschen eine große Anziehungskraft aus und verbreiteten sich später über das gesamte römische Reich. Von Kleinasien über Rätien bis zum Rheindelta, in England, Spanien, Nordafrika, am Balkan und in Italien wurde den Kybele-Attis-Mysterien gehuldigt. Dieser orgiastische Kult war mit den Sitten und der moralischen Strenge der damaligen Römer kaum vereinbar und wurde von der Gesetzgebung in festen Grenzen gehalten. Eine aktive Beteiligung war den römischen Bürgerinnen und Bürger bei hohen Strafen verboten. ------- Obwohl die römischen Dichter, Lukrez, Catull, Vergil, Ovid u. a., die Große Mutter beachteten, spielte sie in der Literatur keine bedeutende Rolle. Umso mehr wurde sie von Bildhauern verewigt und in einer Vielzahl von Tempeln und Kultstätten verehrt. Durch ihre Zeitlosigkeit überdauerte sie den Einbruch der Christenheit und gab sogar der frühchristlichen Marienverehrung Impulse. ….. Ovid fasti 4,221ff: „….. Drauf ich: “Wie kommt´s zu dem Drang, das Geschlechtsteil Sich zu verstümmeln“? Ich schwieg. Gleich fing die Muse da an: „Einst hatt Attis, der schöne phrygische Knabe, die Göttin Deshalb zur Liebe bewegt, weil er noch unberührt war. Daß er das bleibe und seinen Tempel bewache, das wünschte Sie sich und sprach: „Wolle du immer ein Knabe nur sein!“ -er sagte ja. „Bin ich wortbrüchig, sei die Liebe, mit der ich Dich betrüge, für mich dann auch die letzte.“ sprach er. Doch er betrügt sie und ist bei der Sagarisnymphe dann nicht mehr Das, was er war, und im Zorn fordert sie, daß er das büßt. Wunden fügte sie dem Baum der Nymphe zu, tötete sie selbst so, Denn mit dem Schicksal des Baums war das der Nymphe verknüpft. Er wird rasend und glaubt, es stürze das Dach seines Hauses Auf ihn. Im schnellen Lauf eilt er auf Dindymus´ Höhn, Ruft bald: „Fort mit den Fackeln!“ bald „Hinweg mit den Peitschen!“, Häufig schwörend, des Styx Göttinnen seien jetzt da. Auch zerfleischt er mit einem scharfen Stein seinen Körper; Durch den schmutzigen Staub schleift sein üppiges Haar. „Ich hab`s verdient und bezahle mit Blut meine Strafe!“, so schrie er, „Weg mit dem Teil meines Leibs, dem ich mein Elend verdank`!“ „Weg damit!“ rief er noch, reißt das Gemächt sich dann ab, und von da an War nichts Männliches mehr an seinem Körper zu sehn. Das machte Schule. Die weichlichen Jünger schneiden, dabei die Haare schüttelnd, das Glied, das sie verachten, sich ab.“ So hat mit klugen Worten da die aonische Muse Mir den Grund jenes Wahns, den ich erfragte, genannt.“ (Publius Ovidius Naso: Fasti. Auf der Grundlage der Ausgabe von Wolfgang Gerlach neu übersetzt und herausgegeben von Niklas Holzberg; Verlag Artemis & Winkler. Zürich, 2001.)